Mütterliche Depressivität

Dissertation von Dr. Judith Herwig

Förderer:     Rehabilitationswissenschaftlicher Forschungsverbund Freiburg/Bad Säckingen

Laufzeit:     01.01.2002 - 31.03.2004

Kinder eines psychisch kranken Elternteils stellen eine Risikogruppe in Bezug auf die Entwicklung psychischer Erkrankungen und Auffälligkeiten dar. So haben Kinder depressiver Mütter eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für kognitive, soziale und psychische Auffälligkeiten. Die Frage, warum diese Kinder ein erhöhtes Risiko haben, ist bislang nur unzureichend geklärt. Es wird angenommen, dass die mütterliche Depressivität an sich einen negativen Faktor darstellt und dass die Depressivität wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass weitere ungünstige Faktoren und Mechanismen für das Kind vorliegen bzw. wirken können. Neben genetischen und bio-physiologischen Einflüssen während der Schwangerschaft wird familiären Risikofaktoren, die zu einer stressreichen Umgebung für das Kind führen können, eine besondere Bedeutung zugesprochen.

Für psychisch belastete Frauen bietet das gesundheitliche Versorgungssystem in Deutschland verschiedene Formen von stationären und ambulanten Maßnahmen an. Ein solches Angebot für Frauen und ihre Kinder stellen Mutter-Kind-Maßnahmen dar. Die gesundheitliche Situation von Frauen, die zusammen mit ihren Kindern eine solche Maßnahme in Anspruch nehmen, ist gekennzeichnet durch Erschöpfungszustände und Depressivität. Kinder, deren Mütter an einer Mutter-Kind-Maßnahme teilnehmen, können dementsprechend als eine Risikogruppe für die Entwicklung von Auffälligkeiten betrachtet werden.

Die vorliegende Studie verfolgte zwei Ziele: Erstens sollte die Prävalenz der Belastungen von Müttern in Mutter-Kind-Maßnahmen hinsichtlich der als Transmissionsmechanismen diskutierten Faktoren Depressivität, Partnerschaft, soziale Unterstützung und Erziehungsverhalten der Mutter erhoben sowie die Prävalenz der psychischen Auffälligkeiten der Kinder erfasst werden. Zweitens sollten Zusammenhänge zwischen den mütterlichen Faktoren und den Auffälligkeiten der Kinder postuliert und dargestellt werden. Hierzu wurde ein Strukturgleichungsmodell entwickelt. Es wurde angenommen, dass die vier Konstrukte auf Seiten der Mutter miteinander in Beziehung stehen und in gleicher Weise als Prädiktoren für internale und externale Verhaltensauffälligkeiten des Kindes von Bedeutung sind.

Es handelte es sich um eine Querschnittstudie mit einem Messzeitpunkt. Die Studie erfolgte in zwei voneinander unabhängigen Teilstudien. Dabei wurden in der ersten Teilstudie 100 Mütter und ihre Kinder in drei Mutter-Kind-Einrichtungen mittels Fragebogen schriftlich befragt. An der zweiten Teilstudie nahmen 336 Mütter und ihre Kinder aus neun Mutter-Kind-Einrichtungen teil.

Die Ergebnisse zeigen, dass bei den Frauen und ihren Kindern psychische Belastungen vorliegen. Ca. 60 Prozent der Frauen wiesen klinisch relevante Depressivitätswerte auf. Es ist davon auszugehen, dass 20 Prozent der Frauen die Kriterien einer affektiven Störung erfüllen würden. Die Hälfte der teilnehmenden Kinder wurde im Urteil der Mütter als psychisch auffällig eingeschätzt.

Entgegen der ursprünglichen Annahme eines gleichen Einflusses der vier mütterlichen Faktoren Depressivität, Partnerschaftszufriedenheit, soziale Unterstützung und Erziehungsverhalten auf die internalen und externalen Auffälligkeiten des Kindes zeigten sich direkte und indirekte Effekte. Ein direkter Zusammenhang mit den internalen und externalen Auffälligkeiten des Kindes konnte für die mütterliche Partnerschaftszufriedenheit und für das Erziehungsverhalten gezeigt werden. Die Depressivität und die wahrgenommene soziale Unterstützung der Mutter erwiesen sich als indirekte Prädiktoren. In beiden Teilstudien konnte das formulierte Modell der Zusammenhänge zwischen Mutter und Kind bestätigt werden.

Die sich aus der Studie ergebenden Implikationen für die Mutter-Kind-Maßnahmen betreffen die folgenden Aspekte: Dem Screening und der Diagnostik psychischer Belastungen bzw. Störungen sollte vermehrt Beachtung geschenkt werden. Zur spezifischen Versorgung dieser Frauen bedarf es einer differentiellen Indikationsstellung sowie der Fortführung und Spezifizierung der therapeutischen Maßnahmen. Dabei sind neben Maßnahmen für depressive Frauen vor allem Maßnahmen bei Partnerschaftsproblemen und bei dysfunktionalem Erziehungsverhalten erforderlich. Für die psychisch auffälligen Kinder sollten therapeutische Angebote gemacht werden.

Forschungsdesiderata betreffen sowohl den Themenbereich "Kinder depressiver Mütter" als auch die Mutter-Kind-Maßnahmen. So sind die Transmissionsrisiken und -mechanismen zwischen Mutter und Kind weiter zu spezifizieren und Präventions- und Interventionsprogramme zu entwickeln. Im Bereich der Mutter-Kind-Maßnahmen besteht Forschungsbedarf hinsichtlich der Epidemiologie psychischer Störungen, der differentiellen Indikation, der Evaluation von Therapieangeboten sowie bezüglich der Effektivität der Maßnahmen.

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